Eine Bilanz
Der Fachkräftemangel hat ein mieses Image. Er ist der Grinch der smarten Unternehmenskultur. Und sehr erfolgreich ist er auch. Doch obwohl ihn keiner mag, verschwindet er nicht einfach wieder. Er lässt sich nicht einfach aussitzen. Manch verzweifelter Unternehmer greift deshalb zu drastischen Mitteln frei nach dem Motto "In der Not frisst der Teufel Fliegen" und öffnet sich und sein Unternehmen für eine ganz neue Möglichkeit: den Quereinstieg. Aber dabei rütteln wir an einer Institution und zwar dem deutschen Ausbildungssystem! Menschen lernen und schuften jahrelang für ein Berufsabschluss- oder Hochschul-Zeugnis. Kann ein „learning by doing“, eine „so nebenbei Ausbildung“ da mithalten? Leidet nicht zwangsläufig die Qualität?
Die Antwort ist ein klares: Das kommt darauf an!
Quereinsteiger bringen frischen Wind und eine neue „Denke“ mit ins neue Unternehmen. Sie können nicht hinterfragte Vorgehensweisen entstauben, vielleicht sogar erstarrte Strukturen aufweichen, weil sie definitiv nicht an Betriebs- oder Berufsblindheit leiden. Das kann für ganz neuen Schwung sorgen. Quereinsteiger sind zwar FACHfremd, bringen aber ihre Talente, Berufs- und Lebenserfahrungen, also viel wertvolles Wissen mit, auf dem sie aufbauen. Das Berufsspezifische vermitteln unternehmensinterne Fachleute mit all ihrer Erfahrung, kompetent unterstützt durch ambitionierte Fortbildungseinrichtungen. Die Wissensvermittlung ist effizient und stets unter Realbedingungen. Die noch fachfremden Mitarbeiter können von Anfang an die Arbeiten erledigen, die kein Spezialwissen erfordern. (Das Spezialwissen setzt dem Ganzen natürlich Grenzen, selbst bei einer verwandten Berufsbasis.)
Als Quereinsteiger hatte ich anfangs öfter mal das Gefühl, als käme ich als Hufflepuffler zu den Ravenclaws. Da muss das Ego schon mal trocken schlucken, wenn man einen Text zum x-ten Mal zum Überarbeiten zurückbekommt – so oft, BIS ER DIE GEFORDERTE QUALITÄT HAT!! Das ist anstrengend und mit knapp 50 auch nicht leicht fürs Gemüt, schließlich hatte ich die letzten 25 Jahre fast ausschließlich Führungspositionen. Aber ich habe gelernt und lerne immer weiter und baue mein Wissen und Können stets und ständig weiter aus. Meine Kolleginnen wiederum investieren viel Zeit, Geduld und Nerven in mich und meine Ausbildung.
Warum diese Mühe? Ich hatte es eigentlich nicht schlecht, da wo ich war. Früher waren die Kinder klein und die Verantwortung groß, jetzt ist es andersrum. Also pfeife ich auf Sicherheit und starte eine Neuorientierung. Mehr Kreativität und Freiraum im Job. Nicht mehr meine Zeit mit festgefahrenen Abläufen verschwenden. Einen fahrradtauglichen Arbeitsweg statt nervtötendem Großstadtverkehr. Nicht mehr einfach nur Geld zu familientauglichen Arbeitszeiten verdienen, sondern sogar Freude daran haben. Kurz: Etwas von der vielbesungenen Work / Life-Balance. Und dafür muss man eben auch was tun. In meinem Fall noch mal ganz von vorn anfangen.
Aber eine PR Agentur? Ja, ich gebe es zu: Ich war unbedarft genug, die Existenzberechtigung einer PR Agentur per se infrage zu stellen. Etwas Schreibtalent, Identifikation mit dem Unternehmen, Kreativität und schon ist selbst für die PR gesorgt. Oder? Andererseits: Schreiben machte mir schon immer Freude und hier bot sich die seltene Gelegenheit, einen Beruf mit so einem Schwerpunkt zu lernen! Die Atmosphäre in der Agentur gab mir schließlich den entscheidenden Schubs: Für mich stimmt die Chemie, es herrscht ein energiegeladenes, kreatives und ausgesprochen positives Klima und so stieg ich (quer) ein in unsere Agentur Lorenzoni.
Folgendes kann ich feststellen:
- Was die Zweifel an der Existenzberechtigung zumindest DIESER PR Agentur angeht, bin ich nachhaltig geläutert. Schwer beeindruckt, wie die Unternehmen unserer Kunden angeschoben werden, habe ich kapiert, wie wertvoll gute PR von echten Profis ist - noch dazu in B2B, das können nämlich nicht viele.
- Wenn sich alle Beteiligten ins Zeug legen, ist ein Quereinstieg eine win/ win-Situation.
- Ich fühle mich sehr wohl. Die Mühe hat sich wirklich mehr als gelohnt.
Also nein, Fliegen frisst hier keiner. Wir kriegen Kuchen und Espresso! ICH BEREUE NICHTS!